Der Wedding hat ein neues Multimedia-Labor. Die Macher versprechen sich nicht nur guten Umsatz – das Studio hat das Zeug zum sozialen Modell-Projekt.
In sturer Regelmäßigkeit reihen sich Handyläden an 1-Euro-Shops. Gentrifizierung ist im Wedding zwar ein Thema. Aber auf der Müllerstraße, Höhe Kameruner- und Türkenstraße, gibt es keine Hipster. Hier ist das Studio von Edip Özer und Murat Ozak.
Multimedia-Mekka auf kleinem Raum
„Wenn wir das hier nicht geregelt bekommen, sind wir echt selbst schuld“, sagt Edip. Mit wenig Geld und viel Herzblut hat der 31-jährige Kommunikationsdesigner gemeinsam mit seinem Freund, dem Musikproduzenten Murat Ozak, ein komplett ausgestattetes Multimedia-Studio aus dem Boden gestampft. Seit April bieten die beiden ein Foto- und Musikstudio, Grafik, Animation und Videoproduktion an.
„Was hier entsteht ist super interessant“, sagt Ines Grzyb, die zum Hallo sagen da ist. Nach 20 Jahren Jugendarbeit im Kiez sieht die 49-jährige Streetworkerin müde aus. Manch gute Hoffnung hat sie unter der Bürokratie des Quartiersmanagements, narzisstischer Politik und rassistischen Vorurteilen begraben. Doch ihr Kampfgeist ist geblieben. Auch dank jungen Leuten wie Edip und Murat.
Pippi in der Krachmacherstraße
„Ich war fasziniert vom Mut der beiden, mit gestalten zu wollen“, sagt Ines. Mit den weißen Chucks, der bunten Pluderhose und dem feuerroten Haar sieht sie aus wie eine Weddinger Mischung aus Pippi Langstrumpf und Lotta aus der Krachmacherstraße.
Im Grunde ist der ganze Wedding ein weit verästeltes Netz aus Krachmacherstraßen: Überforderte Lehrer, hilflose Eltern und gewaltbereite Schüler prägen den Ruf der Schulen. Soziale Träger kämpfen um viel zu knappe Fördermittel, Jugendclubs schließen. Und die Sozialarbeit kapituliert vor der organisierten Kriminalität, die in der orientierungslosen Jugend leichte Beute findet.
Der größte Verlierer: der Nachwuchs
Auch in Leuten wie Murat. Der 28-Jährige hat einen Bildungskrieg hinter sich. Er flog von mehreren Schulen, ein Streit mit einer Lehrerin endete vor Gericht. Das eine Mal durfte er zurück. Aber Murat weiß, wer den Krieg verloren hat. Mit Hauptschulabschluss und ohne Ausbildung arbeitete er in der Druckerei, in der auch sein Vater seit 20 Jahren beschäftigt ist. „Diese Chance muss ich jetzt nutzen. Eine andere hab` ich nicht.“
Kollege Edip könnte mit seinem braven Garçon-Schnitt und dem Ringelpulli auch als Wilmersdorfer durchgehen. „Ich weiß, dass ich was kann. Ich will was leisten und zwar jetzt.“ Der gelernte Kraftfahrer studierte mit 24 Jahren Kommunikationsdesign, machte dafür über 300 Euro Studiengebühren im Monat locker. Um sich dann in der Generation Praktikum wiederzufinden.
85 Quadratmeter Selbstbehauptung
Wochenlang haben Edip und Murat geschuftet. Aus der damaligen Bruchbude haben sie ein professionelles Studio gemacht. Die hiesige Musikszene weiß schon Bescheid. Davon zeugt auch das an die Wand gepinnte Polaroid von DJ Westbam. „Der war letzte Woche da“ sagt Murat. Neben ihm hockt Echse Jean-Claude unbeweglich im Terrarium. Murats Neffe sitzt auf der Couch und macht Hausaufgaben. Am Glamour-Faktor ließe sich noch arbeiten.
Sozialarbeit als Hilfestellung
Edip und Murat wollen alles richtig machen. Rückenwind gibt es von Ines. Sie spricht mit dem Bezirksamt, stellt Anträge, akquiriert Schul-AGs für gemeinsame Projekte. „Endlich wird das lokale Potential hier im Kiez sichtbar“, freut sie sich. „Es heißt immer es gibt keine Vorbilder. Quatsch! Die müssen nur mal rangelassen werden.“
Dabei sieht sie sich selbst nur als Stütze. „Die Jugendlichen müssen verstehen, dass man an Strukturen etwas verändern kann.“ Deshalb nimmt sie die beiden Neu-Unternehmer mit zu den drögen Gremiensitzungen. Spannend, findet Murat. „Wir wüssten sonst gar nicht, was das für Leute sind, die über uns entscheiden.“